
Mit ihren 8,3 Kilometern ist die Mainzer Landstraße die zweitlängste Straße Frankfurts. Von der Innenstadt in Richtung Westen führt sie durch die fünf Stadtteile Westend, Bahnhofsviertel, Gallus, Griesheim und Nied. Jedes dieser Quartiere prägt sie auf eine andere Art: Als Einkaufsstraße, Arbeitsort oder als wichtige Verkehrsader.
Bereits in der Römerzeit gab es eine Straße zwischen Frankfurt und Mainz. Damals verband sie den römischen Ort Nida, das heutige Heddernheim, mit Praunheim und Mainz. Die Mainzer Landstraße, wie wir sie heute kennen, entsteht Anfang des 18. Jahrhunderts. Ab 1746 wird die unbefestigte Handelsstraße verbreitert, gepflastert und zu einer Chaussee ausgebaut. Der Fernverkehr zwischen Frankfurt und Mainz wird schneller und angenehmer. Während der Industrialisierung wird die Mainzer Landstraße zur wichtigsten Industrieader Frankfurts. Seit 1934 wird der Fernverkehr zwischen Frankfurt und Mainz nach sechs Kilometern stadtauswärts von der Mainzer Landstraße über die Höchster Umgehungstraße und die A66 geleitet.
Einst ein Naherholungsort für wohlhabende Frankfurter
Die Mainzer Landstraße beginnt mitten in Frankfurt. Die Straße geht aus der Taunusanlage hervor und führt vorbei an Hochhäusern verschiedener Banken. Hier vermischen sich Geschäftsleute, Touristen sowie Einheimische zum typischen Frankfurter Stadtbild. Wo heute vor allem der Autoverkehr den Straßenabschnitt dominiert, wurde vor rund 200 Jahren ein breiter Boulevard mit Parkanlagen angelegt, auf dem sich Droschken und Spaziergänger tummelten. Damals lockte der Straßenabschnitt die gut betuchte Frankfurter Gesellschaft an. Sie genoss die frische Luft am Stadtrand und den Blick auf den Taunus. Entlang der Straße entstanden Villen und Gartenhäuser. Die Bebauung der „Mainzer“ nahm 1832 kontinuierlich zu. Ende des 19. Jahrhunderts kamen auch Villen von Fabrikanten hinzu, deren Betriebe am westlichen Ende der Straße, also in den industriellen Vierteln wie dem Gallus, Griesheim und Höchst, lagen.
Die Industrieader Frankfurts im 19. Jahrhundert
Ein Kontrast dazu bildet die Entwicklung der Mainzer Landstraße im Gallus. Bis zum 19. Jahrhundert war der Stadtteil von Landwirtschaft geprägt. Doch vor knapp 130 Jahren erreichte die Industrialisierung Deutschland – und das wird auch in Frankfurt und insbesondere auf der Mainzer Landstraße sichtbar. Das zuvor ländliche Bild des Stadtteils wandelt sich zu einem industriellen: Rauchwolken steigen in den Himmel, stickige Luft und ein Gestank, der aus der Herstellung von Gas aus Harz und Öl entsteht, durchzieht die Straße. Arbeiter, Brust an Brust in einer Tram stehend, die von Pferden gezogen wird, fahren durch die Morgendämmerung zu ihrer nächsten Schicht in die nahen Fabriken. So begann der Arbeitstag für viele Frankfurter, die in den ersten Fabriken entlang der Mainzer im Gallus angestellt waren. Ab 1898 wurden die ersten Straßenbahnen in Frankfurt elektrifiziert und lösten die Pferdebahnen ab, die zuvor die Arbeiter aus der Stadt und dem Umland vom Hauptbahnhof über die Bahnhofsstraße und die Mainzer Landstraße zur Galluswarte zu ihren Arbeitsplätzen beförderten.
Heute flitzen dort im Minutentakt die vollelektrischen und hochmodernen Triebwagen der Linien 11, 21 und 14 über die Mainzer Landstraße und bringen die Passagiere an ihr Ziel. Alle paar Minuten spucken sie an der Galluswarte Menschentrauben aus. Die Station verdankt ihren Namen dem immer noch emporragenden Beobachtungsturms aus dem Mittelalter. Das heutige Wahrzeichen des Viertels war Teil der historischen Stadtbefestigung Frankfurts.
Für das Gallus ist die Mainzer Landstraße immer noch das wirtschaftliche Zentrum. Die meisten, die hier unterwegs sind, sind auf dem Weg zur Arbeit oder haben etwas zu erledigen, einen Einkauf oder einen Arzttermin, wollen zur Bank oder das Auto in der Werkstatt abgeben. Geschäfte, Restaurants, Imbissstände und Bürogebäude reihen sich aneinander. Wo heute auf dem Güterplatz Wohnhochhäuser in den Himmel ragen, entsteht um 1880 gleichzeitig mit dem heutigen Hauptbahnhof der „Centrale Güterbahnhof“. Die Produktion von Gütern hatte sich während der Industrialisierung immens erhöht, sodass die ehemaligen Frankfurter Westbahnhöfe ersetzt werden mussten. Ab 1910 ist die Hochphase der Industrialisierung erreicht und vom Güterplatz bis zur Galluswarte entstehen nunmehr repräsentative Verwaltungsgebäude.
Bürogebäude formen auch heute noch das Bild der Straße. Doch sie ist nicht nur ein Ort der Arbeit. Das Areal rund um die Mainzer Landstraße wurde immer weiter zum Wohngebiet ausgebaut und wird stetig erweitert, wie zuletzt mit dem Bau des Europaviertels – auf dem Gelände des einstigen Güterbahnhofs. Und die Bebauung geht weiter: Auf der Brachfläche der ehemaligen FAZ-Redaktion an der Frankenallee sind 650 Mietwohnungen geplant.
Von der Metropole zum Naherholungsgebiet
Wer in Richtung Griesheim fährt, erlebt die Straße von einer anderen Seite. Auf den letzten vier Kilometern ist sie weniger betriebsam. Es wird grüner. Auf einem Abschnitt zwischen Mönchhofstraße und der Station Waldschule säumen Schrebergärten die Straße und bieten den Städtern einen Ausgleich zum geschäftigen Großstadtleben. Nur vereinzelt sind Passanten auf der Straße, auch hier rauschen Straßenbahnen und Autos regelmäßig vorbei. In direkter Nachbarschaft zu den Schrebergärten erstreckt sich ein Gewerbegebiet, das mit großen Parkplätzen zu schnellen Erledigungen zwischen Arbeit und Heimweg einlädt. In Nied schließlich wird die „Mainzer“ wieder lebendiger. Bekannte und Freunde treffen sich hier auf ein halbes Hähnchen oder einen Kaffee.
Wer von der Tramstation „Nied Kirche“ die Mainzer Landstraße in Richtung Westen weiterläuft, hört links den Main vorbeirauschen und überquert die Nidda. Der kleine Fluss fließt fast unbemerkt unter der breiten Brücke durch, auf der Trams und Autos fahren. Kinder spielen auf dem Spielplatz in der Parkanlage Wörthspitze, Passanten gehen mit ihren Hunden spazieren. Von hier aus zieht sich der Frankfurter Grüngürtel als Naherholungsgebiet nach Sossenheim und Schwanheim. Wer vom Wasserhäuschen an der Tramstation Tillystraße in Richtung Westen schaut, sieht die „Mainzer“ in die Bolongarostraße münden.
Das letzte Stück der Mainzer Landstraße in Griesheim und Nied war lange von Landwirtschaft geprägt. In Griesheim und Höchst wurden Mitte des 18. Jahrhunderts chemische Fabriken errichtet. Die entstandenen Arbeitsplätze zogen Arbeiter an, die sich in Griesheim und Nied niederließen. Von da an wachsen die beiden Stadtteile stetig weiter von knapp 2000 bis zuletzt auf über 40.000 Einwohner und prägen die „Mainzer“ mit ihren Häusern, Geschäften und Cafés. 1928 werden Nied und Griesheim zu Frankfurter Stadtteilen.
Frankfurts Stadtgeschichte spiegelt sich auf der Mainzer Landstraße
Die Mainzer Landstraße ist in gewisser Hinsicht ein Spiegel der Entwicklung Frankfurts der vergangenen 200 Jahre: Von einer zunächst landwirtschaftlich geprägten Straße über die Industrialisierung mit ihren Fabriken und den Zerstörungen in den beiden Weltkriegen bis hin zur Entwicklung der Stadt als Finanzmetropole finden sich alle Facetten entlang der Mainzer Landstraße. So ist eine Fahrt die Mainzer Landstraße entlang nicht nur eine Reise durch die Stadt, wo Kontraste aufeinandertreffen, sondern auch eine durch Frankfurters Stadtgeschichte. Wer sich auf der „Mainzer“ aufhält, erlebt die Stadt als Finanzmetropole und „Global City“ mit internationalem Publikum. Ebenso sind Kleingartenanlagen und Naherholungsgebiete ein Teil von ihr. Der Wandel der Straße ist weiterhin im vollen Gange, ob es die Bebauung von Brachflächen ist, oder die Eröffnung neuer Restaurants und Geschäfte. Ganz so, wie sich das Stadtbild Frankfurts stetig wandelt.
Text: Pauline Schareina van der Zander
(Quelle: Stadt Frankfurt am Main)