Kann etwas an irgendetwas explodieren, was es nicht (mehr) gibt? Nein. Am Mittwoch, dem 19. März 2014, gab es einen lauten Knall in Frankfurt und Steine wirbelten durch die Luft. „Sprengladung explodiert am AfE-Turm“, titelte DIE WELT. N24 setzte noch einen drauf: „Frankfurter Uni: Sprengladung am AfE-Turm explodiert”. Am schönsten ist aber die Überschrift des Berliner Kuriers, der mit „Erneute Explosion am AfE-Turm – Bagger Schuld” auch noch vom eigentlichen Schuldigen an dieser Explosion ablenkt. Dafür, dass immer noch Explosivstoff auf dem Gelände, auf dem der AfE-Turm bis zum 02. Februar 2014 stand, herumlag, kann weder der Bagger noch der Baggerfahrer etwas.
Hoffen wir also, dass das Gelände zwischen Senckenberganlage, Robert-Mayer- und Georg-Voigt-Straße jetzt frei von Explosivstoffen ist und niemand dort zu Schaden kommt.
Am heutigen Mittwoch gab es eine Explosion auf dem Trümmergelände, auf dem bis vor ein paar Wochen der AfE-Turm stand. Die herumfliegenden Trümmer beschädigten drei Autos. Es wird davon ausgegangen, dass bei der Sprengung des Gebäudes nicht alle Explosivstoffe gezündet haben.
Der 02. Februar 2014 war eine milder Wintertag, die Temperaturen lagen deutlich über Null. Es war ein nebliger Tag, viel zu neblig dafür, dass heute Zehntausende ein Spektakel fotografieren und filmen wollten, Zehntausende, die alle den einen tollen Platz eingenommen haben wollten, wenn das Spektakel begann.
Die nach Norden gelegenen Zimmer eines Hotels in der Nähe des Frankfurter Messegeländes waren schon seit Tagen ausgebucht. Von hier aus würde man den besten Blick haben, um das Spektakel zu betrachten.
Auf dem Weg zum optimalen Platz wurde das Frankfurter Westkreuz passiert. Nichts zu sehen von der Frankfurter Skyline. Alles war grau wie der Turm der heute gesprengt werden sollte. An der Messe vorbei bis zur Mainzer Landstraße gefahren, auf dieser dann bis zum Güterplatz. Im Bereich der Absperrungen waren noch gar nicht so viele Menschen zu sehen gewesen, es war allerdings erst 08:30 Uhr, also noch eineinhalb Stunden Zeit.
Das Auto geparkt, und am Messeturm vorbei gelaufen. Erstaunlich viele Menschen bewegten sich in die gleiche Richtung. Dann wurde der Zaun erreicht, eine Lücke entdeckt. Schnell wurde klar, warum sich an diese Stelle noch niemand drängte, die Äste einer Birke versperrten den optimalen Blick auf den AfE-Turm.
Kein optimales Wetter, kein optimaler Blick, aber es wurde dageblieben. Wann kann man sonst daran teilhaben, wenn ein so hohes Gebäude gesprengt wird. In Europa war es heute mit 116 m das bisher höchste Gebäude, welches in sich zusammenstürzen sollte.
Die Nachbarn links und rechts am Zaun waren nett. Sie hatten die besseren Plätze. Die aufkommende Unterhaltung verkürzte die Wartezeit, – noch siebzig Minuten. Der AfE-Turm stand noch.
Wenige Minuten nach 10:00 Uhr ertönte das Signal zur Sprengung. Die Menge skandierte den Countdown. Einige lachten. Das Gelächter verstärkte sich, als zunächst einmal gar nichts passierte, dann eine Detonation, eher ein Puff, ein kurzer Aufschrei und Schweigen. Ein einzelner Ruf, dass die Erde bebe, erklang. Und die Erde bebte tatsächlich, während der AfE-Turm in zwei Stufen in sich zusammen stürzte. In wenigen Sekunden war alles vorbei, die Detonation, die Druckwelle und das Beben. Über der Stelle, an der sich einst der AfE-Turm befunden hatte, türmte sich nur noch eine Staubwolke.
Die Zuschauer applaudierten.
Hinweis: Wenn man die Bilder anklickt, erhält man sie in einer etwas höheren Auflösung. Die Bilder wurden als Standbilder unten stehendem Video entnommen.
1974 stand er neben dem alten Chemischen Institut in der Robert-Mayer-Straße, 116 Meter hoch und hässlich. An seinem Inneren interessierte die Studierenden aus den naturwissenschaftlichen Fakultäten das Café, und verwundert nahm man zur Kenntnis, dass es in diesem Betonturm möglich war, noch mehr Plakate an die Wände zu tapezieren als anderswo an der Uni. Auf dem Niederurseler Hang – heute Uni Campus Riedberg – stand damals schon ein ähnliches Gebäude, nicht so hoch, aber durch seine exponierte Lage in seiner Hässlichkeit genauso auffällig und von der A5 aus immer gut zu erkennen, das damals neue Chemische Institut der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Später verschwand das Chemische Institut inmitten anderer Institutsgebäude und ist heute von der Autobahn her nicht mehr so einfach auszumachen, obwohl es von seiner brutalen Hässlichkeit seither nichts verloren hat.
AfE-Turm? Die Abteilung für Erziehungswissenschaften (AfE), die den Turm ursprünglich beziehen sollte, existierte als eigenständige Abteilung schon nicht mehr, als das Gebäude bezogen worden war. Trotzdem blieb der Name bis zum heutigen Tag, dem Tag, an dem der AfE-Turm aus dem Stadtbild verschwinden wird.
Als der AfE-Turm im Jahr 1972 fertiggestellt worden war, war er mit seiner Höhe von 116 Metern bis ins Jahr 1974 das höchste Gebäude Frankfurts. Die in Frankfurt am Main das Bild der Innenstadt bestimmenden Banken hatten allerdings rasch Höheres gebaut, – es konnte schließlich nicht angehen, dass die Geisteswissenschaften über die Banken hinausragen. So wurde 1974 das City-Haus I – damals unter dem Namen Selmi-Hochhaus bekannt – fertiggestellt. Es folgten weitere Hochhäuser und am Tag seiner Sprengung nahm der AfE-Turm gerade mal die 23. Position unter den höchsten Gebäuden in Frankfurt am Main ein.
Ich studierte einst Chemie in unmittelbarer Nachbarschaft zum AfE-Turm, dem höchsten Gebäude der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Das im brutalistischen Baustil errichtete Hochhaus gehörte in meinen Augen immer zu den hässlichsten Bauwerken in der Stadt, weswegen obiges Bild als misslungen zu bezeichnen ist. Die meisten Betrachter werden dieses Foto wohl erst wahrnehmen, wenn der AfE-Turm unwiderruflich aus dem Stadtbild von Frankfurt gelöscht ist.
Frankfurt am Main Unterliederbach
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